Rede von Rain aus Lützerath
Posted: September 22nd, 2022 | Author: hausderunb | Filed under: Uncategorized | No Comments »Am 3.9.22 fand eine Demonstration von Keyenberg nach Lützerath statt, welche für den Erhalt des Dorfs Lützerath, sowie den Abbaustop von Braunkohle im rheinischen Revier protestierte.
Bevor die Demonstration startete gab es einige starke und einprägende Reden, bspw. wurde an diesem Tag viel auf das Thema Antirassismuss und Intersektionalismus gesetzt. So gab es sehr gute Reden und Musikacts von BIPoC¹.
Eine Rede ist uns aber besonders im Gedächtniss geblieben. Die Rede von Rain. Im Folgenden wollen wir diese Dokumentieren und uns alle ins Gedächtniss rufen das täglich Tausende in Gefängnissen dieser Welt sitzen und kein Teil der Rebellion sein können.
Freiheit für ALLE Gefangenen, sprengt alle Knäste!
Haus der Unbekannten am 22.9.22
Ich bin Rain. Meine Pronomen sind dey/them. Diesen Namen habe ich mir ausgesucht. Rain
bedeutet Freiheit. Rain bedeutet, dass ich den Himmel sehen kann. Rain ist die Hoffnung
gemeinsam etwas verändern zu können.
In meiner Rede gibt es Triggerwarnings zu: physischer und psychischer Gewalt, Gewalt
gegen Kinder, Polizeigewalt und Gewalt gegen Schwarze Indigene und people of color.
Als Kind habe ich noch daran geglaubt, dass der Staat meine Rechte schützt.
Ich bin in einer Familie voller Gewalt aufgewachsen. Mein Vater ist konservativ und meine
Mutter ist eine Rassistin, Coronaleugnerin und Verschwörungstheoretikerin. Wenn ich also
rufe „Eure Kinder werden so wie wir“, dann sehe ich mich auch als Kind derer, von denen
die Gewalt ausgeht ich aber gleichzeitig für eine bessere Welt kämpfe.
Alles was ich kannte war Gewalt. Schläge, Tritte, Schreie. Genau deshalb hatte ich mich so
verzweifelt an meine Rechte als Kind geklammert, aber wenn du ein Kind bist, kämpft
niemensch für deine Rechte. Weder Jugendamt, Polizei noch Gerichte haben mir geholfen.
Ihre Antwort war: Die Heime sind voll. Ich weiß ich bin kein Einzelfall, aber alle Kinder sind
damit alleine.
Wenn sie mir nicht helfen tun sie mir doch wenigstens nicht weh, oder? Leider schon und
dabei scheinen sie teils sogar richtig Spaß zu haben. Am 3. August bin ich das 1. Mal in die
GESA gekommen, GESA bedeutet Gefangenen Sammelstelle².
Ich und andere Aktivisti aus Lützerath hatten uns RWE in den Weg gesetzt. Mit einer
friedlichen Sitzblockade wollten wir verhindern, dass ein Bagger vor Lützerath, unserem
gewählten Zuhause einen Erdwall errichten kann. Diese Erdwälle gemeinsam mit Schildern
sollen zeigen: Hier fängt das Tagebauvorfel an. Blöd nur: Ohne Erdwall und Schildchen ist
das nämlich gar nicht so klar und da könnten Menschen ganz ausversehen einen Betrieb
stören, der Profit über Menschenleben stellt.
Ich und meine Bezugi wollten keiner Polizeigewalt ausgesetzt werden. Aber dann ging alles
plötzlich ziemlich schnell und wir saßen mit anderen in einem Polizeikessel. – Weil wir T
Shirts auf dem Kopf und Schals im Gesicht hatten. Darunter war ein minderjähriger Mensch.
Nachdem wir mehrere Stunden in der prallen Sonne auf dem Feld eingekesselt saßen,
brachten sie uns einem nach dem anderen weg. Sie versuchten meine Fingerabdrücke zu
bekommen. Mit Schmerzgriffen an Händen, Armen und Kiefer machten sie von mir Fotos.
Wir saßen stundenlang im überhitzten GESA Transporter. Die Klimaanlage funktionierte
nicht und mehrere Menschen hatten Kreislaufprobleme.
Früher musste ich die Erfahrung machen, dass die Polizei mir nicht hilft ,wenn meine Rechte
verletzt werden, jetzt müssen wir tagtäglich die Erfahrung machen, dass die Polizei unsere
Rechte aktiv verletzt.
Mein Recht auf medizinische Versorgung wurde verletzt.
Sie haben mich mit einer möglichen Gehirnerschütterung in einen GESA Transporter
eingesperrt und sind gegangen. Mir war übel und schwindlig, was bei einer
Gehirnerschütterung tötlich sein kann. Ich hatte Angst das mir alleine in dieser Metallzelle
etwas passiert. Irgendwann gab ich es auf gegen die Türe zu treten und um Hilfe zu rufen.Während wir vor dem Polizeirevier in Erkelenz warteten, kam ein Arzt um sich meine Gehirnerschütterung anzuschauen. Er hat nur meinen Blutdruck und Sauerstoffgehalt
gemessen. Statt mich zu untersuchen, wurde ich wiederholt gefragt: Und wer zahlt das? Als
der Arzt mit den Polizisten darüber sprach, dass diese sicher noch meinen Namen
herausfinden werden und ich dann für die Kosten aufkommen werden müsse, brach für mich
eine Welt zusammen. Das Ausüben von Repressionen wird als wichtiger angesehen als
mein Leben.
Unser Recht auf ein erfolgreiches Telefonat mit unserem Anwalt wurde verletzt.
Ich und eine Aktivistin neben mir in der Zelle forderten mit Klingeln und Klopfen ein
erfolgreiches Telefonat mit unserem Anwalt ein.
Das Recht auf Essen, Wasser und Lesematerial wurde verletzt.
In diesen 7 Tagen gab es ein einzige Mal, dass ein Freund von mir versucht hatte, mit uns
zu kommunizieren. Er war so weit weg, dass er minutenlang diesen ein Satz rufen musste,
seine Stimme klang so verzweifelt. Ich – möchte – eine – Scheibe – Brot – haben. Während wir mit
unserem Anwalt telefonieren wollten, hat er nichtmal Essen bekommen. Später hat er uns
erzählt, dass sie ihm sogar das Wasser abgedreht hatten und ihm seine Sachen für eine Zeit
weggenommen hatten. Dazu gehören Bücher, Briefe und der richterliche Beschluss.
Unser Recht auf korperliche Unversehrtheit wurde verletzt
Die letzten Stunden waren die schlimmsten. Wir mussten eine Identitätsbehandlung über
uns ergehen lassen. Also wieder Fotos und Fingerabdrücke. Sie pressten den Schlagstock
auf meinen linken Unterarm und zogen daran. Mein Arm hat so wehgetan, dass ich Angst
hatte sie brechen ihn mir. In meiner Verzweiflung habe ich gesagt, wenn du mir den Arm
brichst, zeige ich dich an. Er hat weitergemacht.
Die Polizei kann willkürlich ungerechtfertigt und unkontrolliert Gewalt ausüben. Es gibt kein
Kontrollorgan für unsere Exekutive. Wenn mir der Cop den Arm bricht muss ich ihn bei der
selben Institution anzeigen.
Ich hatte geglaubt der Richter würde unparteiisch sein, aber er lachte mit den Polizisten und
machte für sie das Formular fertig, ohne sich selbstständig mit uns auseinanderzusetzen.
Die in der Praxis nicht funktionierende Gewaltenteilung zerstörte mein Vertrauen in unsere
Demokratie und unseren Rechtsstaat komplett.
Nachts hörten wir stundenlang die Schreie von anderen, ich wurde 3 mal in eine
videoüberachte Zelle geworfen, und beim Duschen kam ein männlicher Polizist ins Bad. Ich
hörte öfters, wie sie es ausnutzten, wenn Menschen kein Deutsch sprachen. Von einer
englischsprachigen Person der gesagt wurde red deutsch mit mir, bis zur Androhung einer
Abschiebung.
Draußen – das heißt wir haben es geschafft?
Ich bin zitternd, weinend und verprügelt rausgekommen. Dabei wollte ich stark sein, wenn
ich aus dieser Türe gehe. Ein Freund kam nach mir raus. Seine Lippe war aufgeplatzt und
aus seiner Nase floß Blut. Das schlimmste war, in den ersten Minuten saß er nur still, in sich
gekehrt, fast schon apathisch auf einem Stuhl und hat nichts gemacht. Einfach ins Leere
geschaut. Dabei ist er sonst so fröhlich, voller Energie und Tatendrang. Mit der Gewalt gegenüber mir konnte ich noch irgendwie klarkommen, aber nicht damit, dass ihm, meinen Freunden und anderen Menschen Gewalt zugefügt wird. Und das kann ich nicht stoppen.
Über 200 Menschen werden im Kampf für Klimagerechtigkeit jährlich ermordet. Das trifft
vorallem MAPA – MAPA bedeutet most affected people and areas.
Während wir in der GESA waren, erschoss die Polizei einen 16-Jährigen schwarzen Jungen³,
3 weitere Menschen starben in dieser Woche durch Polizeigewalt. Diese Morde und die
unzähligen Morde und rassistischen Anschläge, die von der Polizei ausgegangen und
geduldet wurden – von Rostock – Lichtenhagen, Oury Jalloh in Dessau, die Anschläge in
Hanau… die Liste ist so lang. Wir tragen dafür die kollektive Verantwortung. Ein Staat der
schlägt, einsperrt und tötet. Jeder Polizist entscheidet sich bewusst mit der Jobwahl, diese
strukturelle rassistische Institution zu unterstützen.
Die Polizei, als Exekutive schützt den Status quo. Ein kapitalistisches System, das von
Ungleichheit profitiert und Menschen ausbeutet. In NRW sehen wir, dass sie um jeden Preis
den Profit von RWE schützt. Echter Klimaaktivismus muss antirassistisch, antikapitalistisch
und antikolonialistisch sein. Klimagerechtigkeit ist nicht verhandelbar.
Die Polizei versucht Klimaaktivist*innen zu kriminalisieren jedes Jahr kommen durch neue
Polizeigesetze schwerere Repression dazu. Polizeigewalt kann jeden treffen. Auch dich. Die
psychischen und physischen Auswirkungen der Polizeigewalt sind lang anhaltend und oft
schwer zu ertragen. Aber sie werden uns nicht mit Repression unterkriegen. Im Gegenteil,
wir schließen uns dem Kampf der most affected people and areas an. Wir sind
entschlossener denn je, Lützerath zu verteidigen. Wir können uns nicht darauf verlassen,
dass der Staat sich für unsere Zukunft einsetzt, aber wiir können gemeinsam etwas
verändern.
Ihr könnt meine Hoffnung sein, dass wir etwas verändern.
1) BIPoC steht für Black, Indigenous and People of Colour (Schwarze, Indigene und Menschen die nicht weiß sind). BIPoC erfahren täglich verschiedenste Formen von Unterdrückung, auch in der sogenenanten linken Szene(inkl. der Klimabewegung). Die häufigste Unterdrückungsform ist Rassismus, aber auch Sexismus oder Klassimus erfahren BIPoC häufiger als andere Menschen.
2) GESA, Gefangenen Sammelstelle sind oft einfache Polizeireviere. Sie können aber auch, insbesondere bei geplanten Großeinsätzen extra aufgebaute Orte sein, wie 2017 beim G20 oder 2020 im Danni. Oft sind dies dann kleine Container-Dörfer/Burgen, die stark militarisiert aufgebaut sind (Zäune, Stacheldraht, Kameras, Securitys). Dort werden Menschen ID-Behandelt, dass bedeutet es wird versucht mit allen „legalen“ Mitteln eine Person dazu zubringen ihr ID anzugeben oder diese heraus zufinden, durch Fotos von Gesicht, Tattoos oder anderen besonderen Körpermerkmalen, wie Verbrennungen oder Muttermalen. Auch wird versucht durch Gewaltanwendung Fingerabdrücke zu nehmen. Menschen die sich dagegen (passsiv) wehren sind häufig starker Repressionen und Schmerzen ausgesetzt. In besonderen Fällen kann es auch dazu kommen das Blut- oder DNA-Proben genommen werden, dazu brauch es in der Regel aber einen richterlichen Beschluss.
3)
https://nitter.net/solimouhamed/status/1570811473282347009#m
https://aa170.noblogs.org/post/2022/08/08/polizei-erschiesst-16-jaehrigen-in-der-dortmunder-nordstadt/
https://aa170.noblogs.org/post/2022/08/10/pm-400-demonstrantinnen-ziehen-nach-einer-kundgebung-zur-wache-nord-und-fordern-aufklaerung/