Wohin gehen wir und was wollen wir eigentlich?

Posted: Januar 22nd, 2022 | Author: | Filed under: Uncategorized | No Comments »

[english version as pdf below]

Ein Beitrag aus Lützerath, welchen wir auf Indymedia gefunden haben.
Die Schreibenden haben einige Stellen, auf die wir sie aufmerksam gemacht haben, nochmal korrigiert und uns gebeten den Text zu teilen. Das machen wir gerne. See you on the streets!

 

Wohin gehen wir und waswollen wir eigentlich?

Über die Klimabewegung und wo sie hin kommen kann

 

 

Kapitel

  • Einleitung
  • Zustand der „Klimabewegung“…
  • Was nun?
  • Der einzige Weg: Revolte!
  • Und was hat das alles mit Lützerath zu tun?

Triggerwarnung: staatliche & sexualisierte Gewalt, Polizei, S3lbs7v3rl37zung (*1)

 

Einleitung

Hey, wir sind frustrierte und wütende Anarchist*innen aus Lützerath. Wir sind eine Gruppe mit
unterschiedlichen Positionen bezüglich Privilegien, jedoch mehrheitlich weiß und nicht cis-
geschlechtlich (*2), positioniert. Wir sind nicht von Abelismus betroffen, haben aber mit
psychischen Problemen zu kämpfen. Wir hinterfragen Diskriminierungen die wir selbst ausüben
und versuchen diese abzubauen. Wir sind solidarisch mit allen von Diskriminierungen Betorffenen.
Und wollen euch hier unsere Sicht aus und auf Lützerath, aber auch auf die ganze Klimabewegung
mitteilen…

Seit einigen Monaten leben wir hier und sind Teil des Lebens im Dorf. Wir sind in vielen Strukturen
auf dem Camp aktiv und versuchen, so gut wir können, das Leben hier mitzugestalten.
In den letzten Wochen mussten wir mit ansehen, wie RWE viel zu nah an Lützerath baggert und sie
einen neuen Wall ziehen, der versucht uns von Keyenberg abzuschneiden und die Umfriedung des
Tagesbaus zu vergrößern. All dies ist passiert, ohne dass es viel Gegenwehr gibt. Wenige
Kleingruppen waren aufgrund der Lage motiviert, dagegen vorzugehen und das weitere Baggern zu
stören. Das Dorf hat sich den Aktivitäten ungern bis gar nicht angeschlossen und lieber ohnmächtig
mit angeschaut, wie der Kreis sich immer enger zieht.
Darüber hinaus sind auch strukturelle Probleme wie Sexismus, Rassismus, Ableismus und weitere
Diskriminierungsformen in den letzten Monaten leider keine Seltenheit gewesen. Dies hat sich nach
einigen Vorfällen verbessert und das Dorf befindet sich in einem Prozess, der gerade zwar
eingefroren ist, aber an einigen Punkten Menschen schon dazu angestoßen hat, ihr eigenes
Verhalten und auch ihre Privilegien zu reflektieren und in neue Prozesse einzutauchen. Wie
beispielsweise Menschen mit „white locks“ (*3), die nach mehreren Gesprächen zu dem Schluss
gekommen sind, diese Haare in einem rassistischen System nicht vertreten zu können und sie sich
abgeschnitten haben.

Diese und andere Gründe haben uns dazu bewegt aktiv zu werden und uns bei verschiedensten
Aktionen vor Ort zu beteiligen sowie hier und da RWE zu ärgern. Unser Ziel war dabei
Raumgewinn, um uns das Dorf von RWE zurückzuholen. Das wir dabei bei weitem nicht so viel
gemacht haben wie wir uns wünschen ärgert uns sehr. Wir haben keinen Rückhalt im Dorf für
größere Aktionen in und um Lützerath gesehen.

 

 

Zustand der Klimabewegung

Seit einiger Zeit passiert nicht mehr viel Neues in der Klimabewegung. Obwohl viel Potential für
eine Massenbewegung vorhanden ist, welche tatsächlich die vorhandenen Zustände ins Wanken
bringen könnte. Aber die Bewegung scheint still zu stehen. Kohlegruben werden klein und groß
blockiert, Demonstrationen latschen begeisterungslos durch die Städte. Wer in der Lohnarbeit fest
hängt, hat bestimmt die Grünen gewählt, um einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten oder spendet
Geld an NGO‘s, damit diese es für sie richten.

Wir hängen auf den Klimacamps ab, wohnen in den Besetzungen, jedoch sind wir nicht mal fähig
dazu, die einfachste Reproduktionsarbeit zu leisten, ohne dass vor allem durch FLINTA* (*4) dazu
aufgefordert werden muss. Wir führen immer wieder die gleichen zähen Diskussionen, ohne dass
wir einen neuen, längeren Grundkonsens halten können. Wie beispielsweise mindestens das
Abdecken von „white locs“ oder das Grundverständnis, insbesondere von cis-Männern,
Reproduktionsarbeit oder Nachtschichten zu machen. BIPoC (*5) müssen immer wieder als
Betroffene auf rassistische Strukturen und Aussagen aufmerksam machen und sind meist die
einzigen Stimmen die das tun. Das gleiche passiert mit Ableismus oder Sexismus. Von
Antisemitismus ganz zu schweigen, dieser wird meist weder erkannt, noch behandelt. Und es liegt
nicht an den Leuten, die von Diskriminierung betroffen sind, zu uns in die Camps und Besetzungen
zu kommen, um uns dann zu erzählen, was wir als Bewegung tun können um alle Menschen zu
inkludieren. Wir, die Klimabewegung, meist weiße, privilegierte Menschen müssen Verantwortung
übernehmen, uns hinterfragen und dafür sorgen, dass marginalisierte Menschen einen Platz in
unserer Gemeinschaft finden und sich wohl fühlen können, ohne sich ständig erklären zu müssen.
Denn wie sollen wir eine bessere Welt erschaffen, wenn wir noch nicht mal fähig sind, unsere
Wünsche innerhalb unserer eigenen Strukturen umzusetzen?
In Lützerath gibt es eine starke BIPoC Community die ordentlich auf den Putz gehauen hat. Es gab
eine Antirassismus-Arbeitsgruppe, welche momentan nicht mehr vorhanden ist. Leider hat es sich
nur mit vielen Apellen sehr langsam etwas getan, beispielsweise gibt es jetzt bei jedem Camp-
Plenum einen Antirassismus-Input. Das darf aber weiterhin kein Zustand sein, auf dem wir
verharren sollten. Mittlerweile finden nur noch sehr wenige BIPoCs ihren Weg hierher (hier wollen
wir nicht FÜR BIPoCs sprechen, sondern unsere Wahrnehmung teilen, da wir teilweise Teil der
Prozesse um Rassismus und rassistische Vorfälle waren).
Die Klimabewegung ist voller Hierarchien, die wir als Anarchist*innen abschaffen wollen. Von
einfachen Wissenshierarchien zu patriarchalen, rassistischen, ableistischen, strukturellen und
persönlichen Hierarchien. Es wird versucht mit Arbeitsgruppen die vorhandene Arbeit aufzuteilen,
das gelingt auch teilweise. Dies produziert aber Hierarchien auf dem Camp und innerhalb der
Arbeitsgruppen, da es dort Menschen gibt, die dort länger oder dauerhaft aktiv sind. Wir sollten uns
hinterfragen, wie wir unser zukünftiges Leben und Zusammenarbeit gestalten. Mehr als ein kurzer
Blick nach Rojava oder Chiapas würde uns dabei bestimmt helfen.

Wir bauen uns ein Leben an einem Ort auf mit dem Wissen, dass der Staat, in Form von Cops,
früher oder später kommen wird, um es zu zerstören. Und wir schauen dabei mehr oder weniger
ohnmächtig zu. Wir lassen uns räumen, nehmen dabei hohe Repressionsrisiken auf uns. Und dabei
erzielen wir nur längeren Räumungsstress und höhere Räumungskosten. All dies sind keine
Strategien, um weder den bestehenden CO 2 -Ausstoß einzugrenzen noch sich in irgendeinernachhaltigen Weise dem Klimawandel in den Weg zu stellen. Da dies nicht dazu führt das die
Lebensbedingungen der Menschen im globalen Süden, die am meisten unter dem Klimawandel
leiden, sich verbessern.
Was wir als Aktivist*innen allerdings bei der Verfolgung dieser aktuellen Strategien erfahren, ist
mehr als schädlich: Wir erleiden körperliche und mentale Schäden, bis hin zu psychischen
Langzeitschäden. Jede Räumung wirft uns wieder zurück und wir fangen am nächsten Ort
irgendwie neu an. Dabei erreichen wir dann aber nichts Konstantes, auf das wir als Bewegung
aufbauen und anknüpfen können. Persönliche Erfahrungen allein reichen nicht, um der Bewegung
weiterzuhelfen. Wir brauchen kollektive positive Erfahrungen. Es ist schön, dass es so viele
Waldbesetzungen im deutschsprachigen Raum gibt. Was bringt es uns aber, wenn die meisten
Besetzungen nur von einigen wenigen gehalten werden und diese dabei dann ausbrennen? Wäre es
nicht schöner, wenn wir den Spieß umdrehen und wir den Staat und Kapitalismus gemeinsam zum
Brennen bekommen könnten?

 

Was nun?

Wie euch vielleicht aufgefallen ist, benutzen wir nicht das Wort „Gerechtigkeit“, wenn wir von der
Klimabewegung reden. Warum ist das so? Weil wir keine Gerechtigkeit in dieser Bewegung
sehen… Diskriminierungen werden weder persönlich noch kollektiv aufgearbeitet und somit auch
nicht aktiv bekämpft. Ausnahmen mag es zwar geben, diese bleiben dabei leider aber eben nur
Ausnahmen. Und kleine Erfolge sind gut und wichtig, aber eben kein kontinuierlicher Prozess als
Bewegung in eine vorausschauende Richtung. Das gleiche gilt auch für die Art der politischen
Praxis: Besetzen, geräumt werden, Repressionen erfahren. Und wieder von vorn. So werden wir
weder das „System verändern“ noch auch nur einen Wald oder Dorf halten können. Denn was soll
sich an den Handlungen von Staat und Firmen ändern, wenn einige hundert Menschen sich
irgendwo hinsetzen, um sich wegtragen zu lassen? Wir müssen aufhören, von dem Aufrechterhalten
von Blockaden zu reden und anfangen, von Verteidigung zu reden. Wir müssen aufhören, mit den
Herrschenden zu interagieren, denn sie werden weder uns noch den Planeten retten. Wir müssen die
Dinge neu denken, raus aus der Passivität kommen. Wir müssen die Herrschenden (*6) attackieren!

Anfangen müssen wir bei uns selbst, egal ob in Lützerath oder an anderen Orten. Lasst uns
herausfinden, wer wir sind, wer wir sein wollen und wo wir hin wollen. Lasst uns unsere Privilegien
hinterfragen, solidarisch, aber konsequent. Lasst uns über unsere Diskriminierungen, die wir
ausüben oder reproduzieren, sprechen und vergessen wir nicht, dabei uns selbst immer wieder zu
kritisieren und gemeinsam einen solidarischen Weg zu gehen, um alle Diskriminierungen
abzubauen. Wir wünschen uns, dass Lützerath, aber auch alle anderen Orte, einladender für alle
Menschen werden, denn der Kampf um das Klima ist wie jeder andere soziale Kampf einer, den wir
nur gemeinsam gewinnen können!

Dazu ist es notwendig, dass jeder Mensch die Möglichkeit hat, seine Träume und Wünsche (mehr)
zu kommunizieren. Auch unsere Ängste und Bedürfnisse werden uns allen helfen, für einander da
zu sein. Emotionale Runden mögen anstrengend und lang sein, trotzdem sind sie unglaublich
wichtig für unsere mentale Stabilität und damit eine Grundlage für revolutionäre Perspektiven. Es
ist wichtig, zu lernen, füreinander da zu sein. Wir werden uns stärken und festere Banden bilden, wenn wir einander kennenlernen. An vielen Punkten können schon wenige entschlossene Menschen viel in Bewegung setzen. Was passiert erst, wenn wir Dutzende, Hunderte von starken Banden vereinen?

Mit dem Ausrufen einer ‚ZAD‘ (zone à défendre, französich: zu verteidigendes Gebiet) hier in
Lützerath wurde ein guter erster Schritt gemacht. Aber mehr ist hier bis jetzt nicht passiert. Es gibt
wenig Unterschiede zu anderen Waldbesetzungen. Die Besetzung hier verteidigt gerade nämlich
ziemlich wenig, da das meiste noch in den Händen der Gerichte liegt und die Menschen hier wieder
einmal darauf hoffen, dass der Staat mal eine klimafreundliche Entscheidung trifft.
Falls es einen für uns positiven Gerichtsentscheid geben sollte, dann ist es eines dieser kleinen
Zugeständnisse, welche wir dem Staat ab und zu abringen können. Damit sollen wir befriedet
werden, damit wir nicht anfangen den ganzen Kuchen zu fordern. Aber wir wollen nicht kleine
Stückchen oder einen Kuchen sondern die ganze Bäckerei!

Lasst uns also den Staat und seine Institutionen als das betrachten was sie sind: rassistisch,
patriarchal, unterdrückend, zerstörerisch und vor allem: niemals Kooperationspartner:innen.

In Lützerath laufen die Dinge größtenteils genauso wie zuvor in anderen Besetzungen und Camps.
Es wird sich darauf vorbereitet tagelang zu warten, bis Mensch aus dem eigenen Lebensraum
geprügelt wird. Die Straßen und Strukturen sind und bleiben offen und es sind immer dieselben
wenigen Menschen, die Energie einsetzen, das Dorf darauf vorzubereiten, dass es gar nicht erst
soweit kommen muss und wir den Lauf der Dinge selbst in die Hand nehmen können. Lasst uns
dem großen, starken Begriff ‚ZAD‘ etwas Leben einhauchen und agieren wir, bevor der Staat hier
wieder seine vermeintliche Macht demonstrieren will!

Was es dazu braucht, ist eine grundlegende Veränderung unserer Strategien und Mittel.
Dazu müssen wir uns überlegen, ob es nicht endlich an der Zeit ist, die Zustände als das
wahrzunehmen was sie sind. Der Klimawandel ist zum größten Teil nicht mehr zu stoppen (siehe
readdesert.org – auch auf deutsch verfügbar). Wenn wir uns aber sehr schnell organisieren und stark
zuschlagen, könnten wir theoretisch noch „das Schlimmste“ verhindern oder wenigstens die
Zustände in der Klimakrise für alle ertragbarer machen, sodass wir ALLE überleben können und
statt uns gegenseitig das Brot zu klauen, es dem Staat klauen. Es sieht aber zur Zeit nicht danach
aus, als würde das passieren.

Es wird uns kein Staat, keine Partei oder NGO retten. Es wird kein Weltfrieden kommen, wenn wir
nur fest daran glauben. Der Kapitalismus wird nicht grün werden. Er wird weiter alles zerstören,
was ihm in den Weg kommt. Daher ist es an der Zeit, jegliche Forderungen einzustellen und für
unsere Ziele und Träume zu kämpfen, individuell, aber vor allem auch kollektiv. Es liegt an uns,
Menschen für eine bessere Welt zu begeistern, um mit neuen Gefährt*innen Kapitalismus und Staat
zu verdrängen.

Wir müssen weg kommen von dem „sich-räumen-lassen“. Wir müssen weg kommen von der
Passivität, dem ohnmächtigen Zuschauen, wie wir verprügelt und misshandelt werden und unser
Zuhause zerstört wird. Wir müssen weg kommen von dem „sich-dem-Staat-hergeben“. Wir wollen
uns emanzipieren, uns stärken, die Geschehnisse selbst in die Hand nehmen und zu unseren
Gunsten verändern. Kein Mensch sollte in die Hände der Cops fallen. Halten wir einander fest!
Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Gefährt*innen festgenommen, verprügelt und mit
Repressionen überschüttet werden. Denn das schlägt uns nur alle zurück. Uns werden dann vieleKapazitäten für Solidaritäts- und Prozessarbeit genommen. Es fehlt der Bewegung grundlegend der
Wille und die Kapazität sich offensiv zu organisieren. Das bedeutet auch, dass wir uns nicht mehr
einfach auf die Straße oder in ein Baumhaus setzen und warten bis die gewalttätigen Horden uns
aus unserem Leben reißen und uns hinter Gitter sperren. Wir müssen anfangen, uns ans Lagerfeuer
zu setzen, um Pläne zu schmieden. Lasst uns Verteidigung zukünftig offensiv gestalten, damit die
Cops gar nicht erst an unsere Strukturen drankommen. Die Freiheit ist etwas, das wir nie freiwillig
hergeben sollten, also tun wir alles, damit wir gemeinsam frei kämpfen können.
Solidarität mit allen Gefangenen, auf das es nicht mehr werden!

 

Der einzige Weg: Revolte!

Das bedeutet, dass wir anfangen müssen uns zu verteidigen! Eine ZAD ist nach unserem
Verständnis eine autonome Zone, in der Staat, Cops und Kapitalismus keinen Einfluss mehr auf
unser Leben und Denken haben. Und das ist das Wichtigste und Größte, was wir uns in der
Klimakrise erarbeiten können – Freiheit, Solidarität, Gerechtigkeit.

Daher müssen wir unsere Strategien ändern und unsere Mittel radikalisieren. Schlagen wir zurück
und gehen in die Offensive. Lasst uns dabei aber nicht übermütig werden und darauf achten, dass
wir alle gesund und ohne Repression nach Hause kommen. Jedes nach den eigenen Kapazitäten und
Fähigkeiten!
Lützerath kann ein Versuch sein, diesen Schritt zu wagen. Verlieren werden wir in diesen
kommenden Kämpfen nichts, denn die Herrschenden haben uns schon alles genommen. Und unsere
Angst, die uns bleibt, wird unser Antrieb sein, uns und alle die wir lieben zu verteidigen. Die Mittel,
die wir dafür nutzen müssen, gehen über Sabotage und Steine werfen hinaus. Werdet kreativ, lasst
euch von anderen Kämpfen auf der Welt (Hongkong, Chile, Griechenland, Frankreich, Kolumbien,
Zapatistas, Rojava) inspirieren und gebt euer Wissen und eure Erfahrung weiter.

Dabei dürfen wir aber nicht in eine Romantisierung von Militanz verfallen. Diese muss gezielt und
sinnvoll eingesetzt werden, dafür aber konsequent. Dabei ist auch noch zu sagen, dass wir Militanz
nicht als Mittel zur Profilierung sehen und diese kritisch auf toxische Männlichkeit hinterfragen
sollten. Hört auf mit Pyro auf Indymedia oder Twitter zu posieren und setzt eure Zeit lieber für
sinnvolle Aktionen ein. Unsere Besetzungen sind voller militanter Banner, aber in die Tat setzen wir
nur die wenigsten Dinge um. Lasst uns ACAT Realität machen!

Um in die Offensive zu gehen, braucht es Banden, die einander gut kennen und vertrauen, die jeden
Schritt des anderen blind vorhersagen können. „Bildet Banden!“ ist ein lästiger Spruch, den wir
immer wieder hören. Der Spruch bleibt leider oft eine leere Phrase. Aber fangen wir damit einmal
an und lernen uns kennen und lieben, dann kann uns nichts mehr aufhalten.

Um all dies zu erreichen, brauchen wir viel Achtsamkeit, für uns selbst, für unsere Freund*innen
und für alle anderen Gefährt*innen. Wir müssen unsere Grenzen herausfinden, respektieren und
diese kommunizieren. Dabei müssen wir vor allem auch die Grenzen anderer respektieren, um eine
gute Gemeinschaft aufzubauen und zu erhalten.
Also sprecht mit euren Freund*innen über eure Vorstellungen von einer besseren Welt, über
militante Verteidigung eures Zuhauses und über emotionale Probleme und Ängste. Dann werdet ihr
sehen, dass ihr nicht alleine seid und wie viel Kraft es gibt, dass ihr Menschen um euch habt, die
sich genauso fühlen wie ihr.

Unsere Liebe hält uns zusammen! Unsere Angst macht uns unverwundbar!

 

Und was hat das alles mit Lützi zu tun?

Mit den jetzigen Verhältnissen wird Lützerath fallen, wenn der Gerichtsprozess der Anwohnenden
negativ ausfällt, wovon wir ausgehen. Daher müssen wir anfangen, die Verhältnisse zu ändern.
Dafür braucht es aber viele Menschen in Lützerath.

Jetzt könnten wir dazu aufrufen, wie jede andere Besetzung, herzukommen. Aber warum sollten wir
das tun? Wäre es nicht viel schöner, wenn Lützerath euch magisch anziehen würde, euch eine neue
Perspektive und neue Hoffnung geben würde? Sodass, wenn ihr von Lützerath hört, dort unbedingt
hin wollt, weil ihr ein Teil von diesem Prozess sein wollt und mehr als nur einmal im Jahr am 1.
Mai etwas Revolution schnuppern wollt.

Dies wäre auf jeden Fall unser Wunsch, dass wir euch mit diesem Text eine neue Perspektive und
Hoffnung geben können, um gemeinsam etwas Neues zu erreichen und weiterzugehen.

Daher entscheidet selbst. Wollt ihr in eurer Stadt, Lohnarbeit oder wo auch immer ihr euch in der
konservativen Gesellschaft aufhaltet, bleiben? Oder wollt ihr einen neuen Weg gehen, Träume
entdecken und für diese kämpfen? Egal ob ihr nun Klimaaktivist*innen seid oder eher in anderen
Teilen der sogenannten linken Szene unterwegs seid. Lützerath kann der Ort werden, an dem in
diesem kalten Land eine Revolution startet.
Jetzt denkt ihr euch vielleicht: Revolution? Die übertreiben doch ganz schön… Dazu können wir
nur sagen: Nein tun wir nicht. Den Begriff Revolution müssen wir entromantisieren. Es wird nicht
den großen (globalen) Aufstand geben und eine unterdrückte Klasse wird die Welt zum Besseren
führen. Jeder Tag, den wir in Lützerath sind, Strukturen und Barrikaden bauen, über Strategien
reden und ganz einfach nur das Leben im Dorf durch Reproduktionsarbeit am Laufen halten, ist ein
revolutionärer Tag. Wo gibt es sonst ein besetztes Dorf, wo so viele verschiedene Kämpfe
zusammenkommen?
Aber: jeden Tag, den wir in Lützerath sind, kommt der Tag X (*7) näher und uns fallen mehr Dinge
ein, die getan werden sollten im Dorf, weil sie uns helfen würden, das Dorf zu verteidigen. Und
umso näher der Tag X kommt, umso größer wird die Last und Angst, die wir hier tragen. Hier reden
wir nicht von der Angst vor der Zerstörung durch das Kapital oder die Gewalt der Cops. Wir reden
von der Angst, wieder einen Kampf zu verlieren, wieder Gefährt*innen an die Gefängnisse oder an
psychische Belastungen zu verlieren. Lassen wir uns unsere Freund*innen nicht von uns nehmen
und passen auf einander auf!

Natürlich könnten wir Lützerath verlassen, wenn es uns hier zu anstrengend wird. Um dann
teilweise wieder zurück in die Städte zu gehen oder weiterzuziehen, in den nächsten Wald, die
nächste Besetzung. Wir könnten unsere Suche nach einem besserem Leben fortführen, um Jahr für
Jahr dieselbe Zerstörung zu erleben, bis wir daran komplett kaputt gehen. Aber das wollen wirnicht, wir wollen mit all dem brechen, was uns bis jetzt gefangen gehalten hat. Vor allem auch den
immer gleichen Problemen und Strukturen der sogenannten linken Szene. Wir wollen etwas neues,
etwas chaotisches, etwas liebevolles. Wir wollen das Alte zerstören und etwas Neues aufbauen, uns
dabei ausprobieren.

Und das ist der Punkt, an dem wir sagen, wir brauchen euch da draußen. Nicht nur als Support,
sondern als Kämpfende hier im Dorf, an unserer Seite. Damit wir diese Last und Angst gemeinsam
tragen und sie leichter wird, damit wir diesen Kampf auch mit unserer vollen Kraft führen können.
Damit Lützerath bleibt und wir anfangen Kämpfe zu gewinnen!

Verteidigt mit uns die ZAD Rheinland! – Unsere Sehnsucht nach Liebe und Freiheit können wir nur
noch militant erreichen!

Bijî berxwedana Lützerath !

– Anarchist:innen aus Lützerath, 31.12.21

 

*1) Wir schreiben einige Begriffe unleserlich, da diese Begriffe selbst schon Trigger darstellen.

*2) cis geschlechtlich steht für Menschen, die sich mit dem, bei ihrer Geburt zugeschriebenen
Geschlecht identifizieren.

*3) „White locs“: Als „white locs“ werden verfiltzte Haare beschrieben die von weißen Menschen
getragen werden. Die Kritik als Frisur bei weißen Menschen kommt daher, dass „locs“ / „dreads“
von schwarzen Menschen als Zeichen der Befreieung von Sklaverei darstellt. „Locs“ bei weißen
Menschen stellen dadurch kulturelle Aneignung dar.

*4) FLINTA steht für Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans und agender Menschen. Dies umfasst einen Großteil des vom Patriarchat unterdrückten und betroffenen Menschen. Diese Gruppen sind oft von toxisch (männlicher), geschlechtlich orientierteroder anderer Gewalt betroffen.
Informiert euch weiter über den umfassenden Sammelbegriff FLINTA, wir können hier keine umfassende Aufarbeitung dazu leisten. Checkt beispielweise: UNTER PLAMEN oder AS:IM…

*5) BIPoC steht für Black and Indigenous People of Colour, deutsch: Schwarze, Indigene und Menschen die nicht weiß sind und somit unter dem Rassismus der Gesellschaft leiden und an vielen Stellen, wie auch in der sogenannten linken Szene, massiv unterdrückt werden und starke Gewalt erfahren.

*6) Herrschenden sind in unsrem Verständnis Menschen die vom Kapitalismus profitieren und ihre
Macht gegenüber anderen Menschen ausüben und diese ausbeuten, sowie Politiker die nicht für
Menschen sondern für Lobby- und Privatinteressen agieren.

*7) Tag X ist der Tag an dem vorraussichtlich RWE und Cops in Lützerath anfangen wollen uns zu
räumen. Aktivist:innen sprechen dann vom Tag X. Oft ist dieser nicht genau vorherzusagen und
wird sehr kurzfristig ausgerufen.

 

 

English PDF:
Where are we heading to and what do we actually want_

German PDF:
Wohin_gehen_wir_und_was_wollen_wir_eigentlich

 


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